Whisky & Lifestyle – ein etwas anderes Porträt über das Wasser des Lebens – nicht ganz ohne Ironie in der ein oder anderen Richtung
Das Thema Whisky ist eines der eher Komplizierteren, möchte man sich mit der sozio-kulturellen Bedeutung beschäftigen. Moment, sozio-kulturelle Bedeutung im Zusammenhang mit einem Genussmittel? Nun, Genussmittel stehen in einem direkten Bezug zu ihren Konsumenten, und daher sollte man sogar über ihre gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung sprechen! Würde man ein Abbild darüber erstellen wollen, so kämen viele tausend Seiten zustande, auf denen sich seit dem Jahre 1404 eine unentwegte Veränderung darstellen ließe; seit der erstmaligen Erwähnung von aqua vitae, hergestellt aus malt in Irland. Die für unser Verständnis relevante Zeit ist natürlich jene, in der wir leben, in der wir genießen und uns über die Dogmen des Genusses streiten, die wir selber geschaffen haben. Es wird Zeit, mit einigen davon aufzuräumen.
Über die Wiederentdeckung
Die große Ära des Whiskys – im Besonderen die des Scotch Whisky – war die Zeit zwischen 1920 und 1980. Über ein halbes Jahrhundert hinweg prägte eine Spirituose die Genusskultur einer ganzen Welt. Scotch, fast ausschließlich Blended Scotch Whisky, war förmlich in aller Munde. Doch wie sooft kommt der Moment, an dem man die Party verlassen muss. Dieser war für Scotch Whisky mit den 1980er Jahren gekommen. Während allein in Großbritannien der Weinumsatz in dieser Zeit um 40% anstieg, sank der des Whiskys um 20%. Die Folge daraus war ein großes Destillerie-Sterben. Einige Destillerien wie Ardbeg wurden vorübergehend geschlossen (1981-1989), andere hingegen nie wieder eröffnet; darunter große Namen wie Brora und Port Ellen (beide 1983 geschlossen). Die Produktion wurde erheblich heruntergefahren, um den Markt nicht mit noch mehr Whiskey zu fluten. Man spricht von dieser Zeit auch als jene der „großen Whisky-Pfütze“.
Mit immer voller werdenden Lagerhäusern musste man zu dem wichtigsten Instrument greifen, welches einem die freie Marktwirtschaft an die Hand gibt: Vermarktung. Während in den „guten alten Zeiten“ einfach Whisky produzierte wurde, wie es schon immer getan wurde, begann man auf einmal über Altersangabe, Fass-Nachreifungen und Preis-Positionierungen nachzudenken. Mehr und mehr eroberte eine neue Kategorie die Köpfe der übrig gebliebenen Konsumenten: der Single Malt Scotch Whisky. Ein Destillat aus ausschließlich gemälzter Gerste, welches nur aus einer einzigen Destillerie stammt. Zuvor gab es zum großen Teil die besagten Blended Malts, also Mischungen von mehreren Single Malts und Grain Whiskys, die das Maß aller Dinge waren. Durch die Zunahme der Lagerbestände waren die Destillerien in der Lage deutlich ältere Abfüllungen anzubieten; und da der Whisky verkauft werden musste, auch zu enorm günstigen Preisen. Diese Maßnahmen griffen. Single Malt Scotch Whisky wurde immer populärer und entwickelte sich in den 2000er Jahren von einem Geheimtip für Genießer hin zu einem wahren Massenphänomen unserer Tage. 30 Jahre in Menschenleben gedacht, sind eine lange Zeit, für Scotch Whisky hingegen eher etwas mehr als mittelfristig, sowohl für das Produkt als auch für die Kategorie.
Von der Einführung einer Wissenschaft
Mit dem steigenden Erfolg dieser Neuorientierung entwickelte sich eine treue Gefolgschaft um das, noch immer vorwiegend schottische, Destillat. Die Leute, hauptsächlich männliche Konsumenten, begannen, sich mit den Destillerien zu beschäftigen. Sie erkundeten die unterschiedlichen Geschmäcker und bautet sich selber eine genießerische Parallelgesellschaft auf, die sich äußerst distinguiert von den üblichen Wirkungstrinken abzugrenzen wusste. Man philosophierte über die Brennblasen, die Fassqualität, über das Alter und natürlich die Art und Weise des Genusses. Dabei machte man nicht vor der Glasform halt, „welche denn die einzig Wahre sei für das Erlebnis von Whisky“- nein, man ereiferte sich über die Wirkung einzelner Tropfen Wasser. Natürlich abhängig von der Herkunft dessen. Weiterhin einigte man sich schnell, dass ein paar Tropfen des kühlen Nass sicherlich hilfreich seien, die vermehrte Zugabe, und dann eventuell in gefrorenen Form, hingegen wurde mehr oder weniger unisono als Barbarei abgelehnt.
Der Besuch einer Whisky-Messe vermittelt zuweil das Gefühl auf einem Mischkongress aus Historikern, Sensorikern und Chemikern gelandet zu sein. Die Beschäftigung mit dem Thema Whisky wird ausgeprägter und tiefsinniger, was die Zunahme einschlägiger Publikationen zeigt. Diesen Umständen haben wir zwei Entwicklungen zu verdanken. Zum einen die Tatsache, dass Whisky – im Besonderen Scotch Whisky – noch immer eine der erfolgreichsten Spirituosen ist und eine Vielzahl von Menschen anspricht; und zum anderen eine Begleiterscheinung, die manchmal etwas anstrengend wirkt: der Whisky-Snob. Eine Erscheinung, die mit äußerster Akkuratesse darauf achtet, jede Form des Regelwerks zum korrekten Genießen dieser noblen Spirituose einzuhalten. Gerne auch in Bezug auf Raumtemperatur, Luftfeuchte, Glasform und, aber das versteht sich natürlich von selbst, auf keinen Fall den größten aller Faux pass zu begehen und auch nur im Entferntesten auf die Idee zu kommen, den Whisky mit Eis abzukühlen und zu verdünnen. Dies sei den vermeintlich plumperen Kollegen Jim, Jack oder John vorbehalten, seien diese schließlich so erst genießbar. Eine leider gängige Weltsicht.
Über die Entdeckung von Ost und West
Doch Dinge ändern sich. Und wie sich die Vormachtstellung des Scotch Whiskys in den 1980er Jahren änderte, so wechselte etwas mehr als 20 Jahre später die Einstellung gegenüber dem monotheistischen Sockel der schottische Destillationskunst. Plötzlich brach vor allem der Markt für Amerikanische Whiskeys auf und es kamen neue Produkte nach Europa. Nicht nur Abfüllungen der größeren Destillen (Beam, Brown-Forman oder Heaven Hill) ergänzten das anfänglich sehr begrenzte Portfolio, auch kleine Craft Whiskeys aus den unterschiedlichsten Winkeln der USA sind heutzutage erhältlich. Der Amerikanische Whiskey verlierte langsam sein vermeintliches Proleten-Image und gilt heute für viele Whisky-Trinker als willkommene Abwechslung, und als ernsthaftes Getränk im Sinne des oben erwähnten Snobismus. Auch auf der anderen Seite der Welt entwickeln sich die japanischen Spirituosen vom Exoten hin zu einem globalen Standart-Produkt. An Namen wie Yamazaki oder Hibiki hat man sich schon lange gewöhnt.
Ganz eigene Philosophien entstehen mittlerweile in Fernost, und der Erfolg ist schon lange da. In seiner berühmten Whisky Bible kürt Jim Murray letztes Jahr einen japanischen Whisky zum Besten der ganzen Welt. Da dies natürlich das wirkungsvollste Marketing ist, wurde über das Produkt nicht nur heftigst geschrieben, gesprochen und diskutiert. Der Effekt auf die gesamte Kategorie war unbeschreiblich. Über Nacht wusste jeder – selbst der eingefleischteste Abstinenzler – von der scheinbaren Perfektion japanische Destillate. Eine Menge Neues also – von Ost und West.
Ein Paradigmen-Wechsel wider dem scheinbar Unumstößlichen
Mit dem Fallen der schottischen Scheuklappen auf Seiten der Konsumenten entwickelte sich ein florierender Schmelztiegel internationaler Genüsse. Taiwan, Deutschland, Indien und natürlich frühere große Nationen wie Irland oder Kanada erleben eine Aufbruchstimmung in Bezug auf ihre Whiskys. Und es ändert sich nicht nur einiges bezüglich der Herkunft der Whiskys. Auch ihr Habitus wandelt sich. Das Bild des ehrwürdigen Gentleman auf dem Chesterfield-Sofa am Kamin wurde überwunden, ja gleich das komplette Gender-Thema ist obsolet geworden. Die Kategorisierung in Frauen- und Männerwhiskys ist überholt und auch das Alter spielt keinerlei Rolle mehr. Whisky ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Dies haben wir – ohne es je in Frage zu stellen – vor allem den Bemühungen der Menschen zu verdanken, die in den 1990er Jahren begannen, ihre Leidenschaft zu leben und kund zu tun. Das wird man nicht so schnell vergessen, und doch ist es Zeit weiter zu gehen und lieb gewonnene Ansichten zu überdenken und in Frage zu stellen.
Natürlich ist es fantastisch, einen Whisky im Glas auf seine schier unendliche Aromenvielfalt hin zu dekonstruieren. Wo finden sich Aromen des Holzes, wie erhält sich der Destillerie-Charakter. Genau diese Möglichkeiten machen einen Whisky zu einer solch spektakulären Spirituose. Und doch kann dies manchmal ermüden. In diesen Momenten sollte man Whisky als das betrachten, was er schlussendlich ist: ein alkoholisches Genussmittel – ein Drink. Nicht mehr, aber auch nicht weniger!
Erlaubt ist, was gefällt – was schmeckt!
Versuchen Sie einmal an einer Hotelbar einen 18 Jahre alten Single Malt auf Eis zu bestellen. Ohne Zweifel, sie werden ihn bekommen, wahrscheinlich jedoch nicht ohne vorher seitens des Bartenders darüber aufgeklärt zu werden, dass dieser edle Tropfen tendenziell anders genossen werden sollte. In diesem Fall kann man der Konfrontation aus dem Weg gehen, indem man darauf verweist, dass dieser Drink bezahlt würde und es im Ermessen des Gastes zu liegen hat, wie er etwas genießen möchte. Die gleiche Unterhaltung mit einem langlebigen Whisky-Connaisseur hingegen kann schon deutlich anspruchsvoller werden. Mit einer solch häretischen Handlung kann eine ganze Genusskultur und auch eine Genussbiographie in Frage gestellt werden. Und genau das sollten wir machen! Mit allem Respekt vor anderen Ansichten, denn genießen sollte jeder auf seine Weise. Diese etwas freizügige Annäherung an Whisky – im Übrigen egal ob Scotch, Irish, Bourbon oder anderer Provenienz – hält diese Kategorie jung. Und auch interessant: Wie viele der heutigen Whisky-Jünger begannen ihre Karriere mit Whisky-Cola und verteufeln dieses Getränk heute?! Man muss es sicherlich nicht mögen, es kann einem privat auch ganz fürchterlich schmecken, doch Freiheit ist bekanntlich die Einsicht in die Notwendigkeit anderer Ansichten. Es muss erlaubt sein, was gefällt – weit weg von Dogmen, Regeln und überholten Ansichten! Denn nur so können wir verhindern, dass dieses fantastische Produkt verkalkt. Dies ist auch einer der ersten Schritte um gegen eine Wiederholung der 1980er Jahre zu steuern.
„Progressum et conservare“ sollte der Leitspruch sein, mit dem wir auf eine vielseitige und tolle Zukunft unser Glas erheben. Egal ob pur, auf Eis oder in einem Drink. Es darf keine Regelwerke zum Genuss von Whisky geben, denn nur so können wir alle gemeinsam etwas genießen, was schlussendlich so extrem vielseitig ist. In der Vielfalt liegt die Großartigkeit – nicht nur auf Produktseite, sondern auch auf Seite des Konsumenten.
Whisky ist in erster Linie ein Genussmittel und keine Wissenschaft, also lassen Sie uns mehr genießen als diskutieren!
Cheers.